Vollgeld-Initiative überfordert Schweizer Politsystem

von Michael Derrer, Rheinfelden

Wer soll unsere Franken herstellen, private Banken oder die Nationalbank?

Als Wirtschaftsdozent an einer Hochschule habe ich mich seit einigen Jahren intensiv mit dem Inhalt der Vollgeld-Initiative auseinandergesetzt. Nach dem Durchackern dicker Wälzer und eingehendem Studium auch der gegnerischen Einwände bin ich zur Überzeugung gelangt: die Initiative könnte umgesetzt werden, der Vorschlag würde funktionieren und brächte den Menschen viele Vorteile.

Die Initiative, die am 10. Juni zur Abstimmung gelangt, lässt sich nicht ins übliche Links/Rechts – Schema einordnen. Sie ist «links», in dem Sinne, dass sie vor der Macht der Grossbanken nicht Halt macht. Sie ist liberal, da sie für alle Wirtschaftsteilnehmer, auch für die Banken, gleiche Bedingungen fordert und keine Privilegien duldet. Sie unterstreicht aber auch die Souveränität der Schweiz und unseres Schweizer Frankens.

Weil sie nicht ins gängige Schema passt, ist das Schweizer Politsystem von der Vollgeld-Initiative überfordert. Da ist es für die Lobbyisten ein leichtes, den Politikern, von denen wenige die Vorlage verstanden haben (das musste ich im Gespräch mit National- und Ständeräten feststellen), ein paar Schlagwörter unterzujubeln, die von diesen dann gebetsmühlenartig wiederholt werden.

Die Behauptungen der Gegner lassen einen erschauern: Eine Hyperinflation soll uns drohen, falls die Initiative angenommen wird! Unsere Wirtschaft würde durch fehlende Kredite abgewürgt! Und die Initiative sei aus einer ausländischen Verschwörung geboren, die den Schweizer Finanzplatz zerstören will! Bei der Vorlage handelt es sich demnach um ein Rezept für den sicheren Untergang der Schweizer Volkswirtschaft, das wahrlich durch den Teufel persönlich verfasst worden sein muss.

In den bürgerlichen Parteien war der Einfluss der Grossbanken für die ablehnende Haltung ausschlaggebend. In einer der Parteien habe ich miterlebt, wie einzelne Figuren, die nicht durch besondere Kompetenz in der Materie auffielen, die Haltung der Partei massgeblich beeinflussen konnten. Bei den anderen bürgerlichen Parteien muss es sehr ähnlich abgelaufen sein.
Auf der anderen Seite wurden die SP und die Gewerkschaften mit dem Argument, die Vorlage wäre nicht etwas links, sondern vielmehr «rechts», verängstigt. Der SGB-Chefökonom schrieb, dass nach Annahme der Vollgeld-Initiative keine Konjunkturpolitik mehr möglich wäre – ein grundfalscher Gedanke.

Wer solche Schauermärchen liest, sollte sich drei einfache Fragen stellen:
- Warum sollte sicheres Geld für uns alle ein Problem sein? Denn das ist der Kern der Vorlage.
- Warum sollen wir der Verdrängung des Schweizer Frankens durch privates Bankengeld, die mit dem bargeldlosen Zahlungsverkehr weiter voranschreitet, tatenlos zusehen?
- Warum bekämpfen insbesondere die Grossbanken Vollgeld so stark? Liegt es vielleicht daran, dass Banken im bisherigen System zwischen 2007 und 2015 durchschnittlich 2,8 Milliarden Franken zusätzlichen ungerechtfertigten Gewinn einstreichen konnten?

Falls dieser Text es schafft, dass Sie sich mit diesem Kern der Vorlage auseinandersetzen, anstatt sich mit Schlagwörtern zu begnügen, wäre viel erreicht.

Michael Derrer, Rheinfelden